Paula und das Lied der Bäume
Donnerstag, 26. Januar 2017
Meine Lieben Ludki
In meinem Zimmer sind Ludki. Ich weiß nicht, was sie dort machen, denn eigentlich sind sie hier ja gar nicht heimisch. Vielleicht sind sie das letzte Mal als ich zu hause war in meinem Rucksack mitgereist, aber wer kann das schon so genau sagen? Vielleicht haben sie gesehen, dass mein Blick allein und einsam war und wollten als ein Stückchen meiner Heimat mitgekommen, um ein Lachen auf meine Lippen zu zaubern.
Erst habe ich sie gar nicht bemerkt, denn sie können sehr leise und vorsichtig, fast scheu sein. Man braucht schon Geduld, um sich ihnen zu nähern und ihr Vertrauen zu erlangen.



Ich war mit Heimweh im Herzen eingeschlafen. Des Nachts wachte ich plötzlich vom flackern eines Flämmchens auf. Ich hörte ein Rascheln, wie von einer Maus, aber ich hatte nicht den geringsten Essensvorrat in meinem Zimmer, was sollte eine hungrige Mäuseseele hier schon wollen? Langsam, ganz langsam richtete ich mich auf und sah das Flämmchen einer meiner Kerzen auf einem kleinen Regal leuchten.



Die Ludki hatten meine Sachen! Zwei Leutchen standen da an der wärmenden Flamme und trugen allerlei Kram zusammen, von dem ich unmöglich sagen konnte, in welcher Weise sie ihn kombinieren wollten: Wolle, Klebeband, Pinsel und allerlei Flöten. Ich zündete eine etwas hellere Kerze an und bewegte mich langsam auf sie zu, um sie genauer zu betrachten. Ich hatte Angst, das grelle elektrische Licht meiner Lampe würde ihre Sicht und Seelen erschrecken und sie in Angst und Agonie davonjagen. Mein Herz war so voller Freude und Licht als ich die Kerlchen sah, dass ich unwillkürlich lachen musste. Sie sahen so gutmütig aus, so fremd und doch vertraut, als hätte ich sie mal als Kind gekannt und ihre Gesichter inzwischen vergessen, aber tief, ganz tief im Gedächtnis vergraben war da noch dieses Gefühl, dieser Hauch einer Erinnerung an Tage voller Sonne, Blätter und Sternenlicht...





Es dauerte noch einige Zeit, bis ich mich wirklich als Freund der ihren bezeichnen konnte. Sie sind recht still und reden nicht viel. Wir sind alle drei keine großen Redner, aber wozu muss man reden, wenn man lächelnd zusammen schweigen oder summen kann?



Die beiden Ludki lieben die Musik. Ihr Volk ist berühmt für seine Musikalität. Sie hören Melodien und Sang wo andere gar nichts wahrnehmen und juchzen manchmal zu den Sternen. Die Kerlchen kennen sich hervorragend mit Instrumenten aus und warten manchmal mein Hümmelchen, wobei sie vortrefflich wissen, wie alles zusammen gehört. Wenn der Wind günstig steht und wir in der Stimmung sind, öffnen wir abends das Fenster und lauschen dem Lied der Bäume, aber es ist weit weg, so unglaublich weit weg. Wir vermissen den Geruch der Pilze und der Erde und die schönste Farbe der Welt, das Licht hinter den Blättern, das hier irgendwie nicht das gleiche ist... Wenn ich sie so traurig sehe, habe ich ein schlechtes Gewissen, immerhin sind sie, wie ich vermute, meinetwegen hier. Aber sie sagen, ich soll mir deswegen keine Gedanken machen und ich versuche auf sie zu hören.

Einer der beiden ist ein wenig größer, als der andere, ich glaube es sind ein Junge und ein Mädchen, aber sicher bin ich mir nicht und vielleicht ist es auch gar nicht wichtig. Sie haben sich sehr lieb und könnten einander unmöglich missen. Irgendwie gehören sie zusammen. Vielleicht können sie nur zu zweit leben.





An manchen Tagen treiben die Leutchen nur Schabernack, machen Quatsch, sind albern und spielen Verstecken, um mir später kleine Streiche zu spielen, an anderen Tagen sind sie in sich gekehrt und die Melancholie selbst. An manchen Tagen vermag nichts ihre Stimmung zu trüben, und an manchen erhebt ihre Gemüter nichts.



Ich glaube sie sind ein bisschen wie ich, sie verstehen meine Stimmung und wissen wie ich denke. Vielleicht reden wir deshalb so wenig. Sie wissen ja schon, was ich bin und Worte können Gefühle sowieso nicht vollständig ausdrücken. Musik kann es. Woher sie mich so gut kennen, vermag ich nicht zu sagen, immerhin ist es noch gar nicht so lange her, da ahnte ich nur ganz leicht und hauchig von ihrer Existenz.



Wenn ich an sie denke beschleicht mich manchmal die Ahnung, dass der Trost ihrer Anwesenheit nicht für immer wären wird. Irgendwann, eines Tages, muss ich sie nach hause bringen, sonst gehen ihre freudigen Gemüter noch vor Heimweh ein. Sie brauchen den Wald und vielleicht eine Art schwer zu erklärender Geborgenheit, die ich ihnen nicht geben kann, und ohne sie verdorren ihre Seelen. Aber noch ist der Tag nicht gekommen.

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